Wer einem Berlin-Touristen eine Ahnung davon verschaffen will, warum Kreuzberg so unglaublich multikulti ist, sollte ihn zu einer augenärztlichen Untersuchung bei Dr. Danisevskis überreden. Der Aufenthalt in Dr. Danisevskis’ Wartezimmer vermittelt einen unmittelbaren, plastischen Eindruck davon, was es heißt, wenn mehrere Kulturen aufeinander prallen und ihre eigene Sicht der Dinge durchzusetzen versuchen. Insbesondere, wenn Hassan da ist. Hassan ist ungefähr sieben Jahre alt und schmeißt gern mit Lego. Dr. Danisevskis mag Kinder und hat deshalb massenweise Legosteine im Wartezimmer herumliegen. Also hat Hassan massenweise was zum Schmeißen. Sehr zum Verdruss seiner älteren Schwester Ayse. Die muss nämlich die Legosteine einsammeln, die Hassan weggeworfen hat. Dafür sorgt Hassans Mutter, die ihrem Sohn liebevoll übers Haar streicht´, wenn es ihm wieder einmal gelungen ist, ein Legosteinchen kraftvoll fort zu werfen. Während die eine Hand der Mutter also liebevoll über Hassans Haar streicht, deutet die andere Hand – deutlich weniger liebevoll – auf den Legostein. Unmißverständliches Signal für Hassans Schwester, den weggeworfenen Stein aufzusammeln. Und wenn sie das nicht sofort tut, erinnert Mama sie mit einem knapp hervorgebellten “Ayse!” an ihre Pflicht. Und wenn sie dann immer noch nicht hinter dem Legosteinchen hersprintet, fängt Hassan an zu brüllen. Hassan hasst es, wenn seine weggeworfenen Legosteinchen zu lange im Wartezimmer herumliegen. Ordnungsbewusster kleiner Racker! Früher oder später passiert das Unvermeidliche: einer der anderen Insassen des Wartezimmers erkundigt sich, warum Hassan seine Legosteinchen nicht selbst aufsammelt. Ayse nickt heftig, Hassan verzieht sein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen, und die Mutter der beiden guckt angestrengt in die Ferne und tut so, als habe sie die Frage nicht verstanden. Die beiden Grundpfeiler einer Jahrhunderte alten Erziehungstradition („Männlichen Nachwuchs verwöhnen! Weiblichen Nachwuchs knechten!“) stehen auf dem Spiel und werden nicht kampflos preisgegeben. Unvorsichtigerweise wird die Frage vielleicht wiederholt, möglicherweise mischt sich ein weiterer Wartender mit wenig hilfreichen Sätzen wie “Also, ick finde ooch, der Kleene sollte det Lego selba uffheben, wenn er’s schon wegwirft.” in die Diskussion. Spätestens jetzt merkt Hassan, dass er Gefahr läuft, selber ein Legosteinchen aufheben zu müssen. Hassan zündet den Turbo und wirft das Nebelhorn an. Sein markerschütterndes Geheul lockt die Sprechstundenhilfen aus den Behandlungs- ins Wartezimmer. „Um Himmelswillen, Lego-Hassan!“ rufen sie und ergreifen die Flucht, während Hassan sich hin geworfen hat und mit beiden Fäusten auf den Boden trommelt. Mutter reicht ihm ein Legosteinchen, damit er es wegwerfen kann, doch Hassan ignoriert das Friedensangebot. Für einen Augenblick hoffte ich, dass die Mutter das Legosteinchen selbst wegwirft, damit Ayse es aufsammeln muss, doch das war wohl zuviel verlangt. Ayse versucht sich mittlerweile, ebenso tückisch wie erfolgreich mit den antitraditionalistischen Emanzipationsvertretern zu verbünden. Hierzu scheint das akzentfreie Deutsch, dass sie eben noch benutzt hat, um der Sprechstundenhilfe am Tresen das Begehr ihrer Familie zu erklären, nicht hilfreich zu sein. „Ayse nisch für Hassan aufräume“ lispelt sie in schwerem Kanaksprak, die Handtaschen springen auf, Ayse bekommt Bonbons. Das ist endgültig zuviel für Hassan. Die Legosteine prasseln wie ein wildgewordener Bienenschwarm durchs Wartezimmer. Und jetzt kommt es, wie es kommen muss. Ein Herr Anfang der dreißig beugt sich zum tobenden Hassan herunter, hält ihm ein Bonbon vor die Nase und meint gönnerhaft: „Das ist für dich, wenn du die Legosteinchen aufsammelst.“ Leider kann ich von der nun folgenden, von Hassan produzierten Mutter aller Wutanfälle nichts berichten, denn eine freundliche Sprechstundenhilfe rief „Herr Kurbjuhn“, und ich kam in den Genuss der üblichen augenärztlichen Untersuchungen, die – wie immer in der Praxis Danisevskis – kompetent, freundlich und einfühlsam vollzogen wurden. Fünf Sterne, denn Herr und Frau Dr. Danisevskis sind meiner Ansicht nach nicht nur die besten Augenärzte Berlins, sie haben auch das Wartezimmer mit der höchsten Unterhaltungsqualität.
Dr. med. Danisevskis Peter + Marianne
Gemeinschaftspraxis Augenärzte
Gneisenaustr. 115, 10961 Berlin
030 7852010
Irgendein schlauer Mensch hat mal geschrieben, dass ein Bahnhof die Visitenkarte einer Stadt ist. Die Visitenkarte, die die Stadt Malchow mit diesem Bahnhof abgibt, ist ein schmuddeliges, zerrissenes Stück Altpapier, auf dem in ungelenken, kaum noch lesbaren Buchstaben “Hau ab!” steht.
Das Bahnhofsgebäude selbst ist eine Ruine, die Fenster eingeschlagen, die Türen zugenagelt. Ein angeranztes Schild zeugt davon, dass jemand namens “Bomber” hier einmal eine Bahnhofskneipe mit dem witzigen Namen “Zur Entgleisung” betrieben hat.
Wir hätten uns wegschmeißen können vor Lachen, wenn wir nicht genug damit zu tun gehabt hätten, herauszufinden, wie man von diesem mitten in der Pampa gelegenen Ort der Finsternis (Nein, der Bahnhof ist nicht beleuchtet. Warum soll man Ruinen auch anleuchten?) die Ortschaft erreicht. Kein Hinweisschild auf eine eventuell fahrende Buslinie, keine Werbung für irgendein Taxi-Unternehmen, das man herbeitelefonieren könnte, nichts, rien, zilch, nada.
Bahnhofsankunft in Malchow, noch dazu nach Sonnenuntergang? Herzlichen Glückwunsch zur Arschkarte, überreicht durch die Gemeinde Malchow und ihre Tourismusexperten!
Bahnhof Malchow
Was für ein ge-ni-a-ler Ort. Wer das Café Caramel betritt und nicht sofort verzaubert ist, benutzt seine Zunge nur zum Briefmarkenablecken oder er hat seinen Geruchssinn an irgendeiner Garderobe abgegeben. Dieses kleine, gemütliche, heimelige Café ist verschwenderisch mit Wohlgerüchen angefüllt. Während man an einem der Tische hockt, sich eine der Café-Spezialitäten (der Latte Macchiato ist ein Hammer!) schmecken lässt und sich hoffentlich entschließt, den Laden nicht zu verlassen, ohne eine der Trink-Schokoladen zu probieren, kann man ganz genau riechen, was die sympathische Inhaberin im Nebenzimmer treibt. Sie backt! Wundervolle Kuchen und Torten entstehen dort, alles in traditioneller Handarbeit, das riecht man, das schmeckt man. Selbst Süßkram-Verachtern wie mir läuft hier das Wasser im Munde zusammen. Da bleibt man gerne hocken, ein Traum von einem kleinen Café!