Lavandevil, Berlin

„Tempora mutantur, nos et mutamur in illis“ – Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen. Ein Klassiker des gepflegten Latein-Zitats, und niemand kennt den Urheber, die Wikipedia vermutet Kaiser Lothar I. …. ist doch wurscht. Wer auch immer sich diesen Satz einfallen ließ, war noch niemals in einem Charlottenburger Traditionslokal wie dem Lavandevil, einer Kneipe, die dermaßen traditionell ist, dass die Stammgäste sich nicht mehr erinnern können, wann sie den Laden zum ersten Mal betreteten haben. Okay, das gilt für die jüngeren Stammgäste. Die älteren Stammgäste wissen nicht mehr, wo sie Zuhause sind, weil sie das Lavandevil seit mindestens zwanzig Jahren nicht verlassen haben.
Warum auch? Vor ein paar Jahren ist renoviert worden, den Wänden ist ein frischer, freundlicher Anstrich verpasst worden, der Grundriss ist geringfügig anders als damals, als ich vor… äh, das war glaube ich Anfang der Achtziger, oder doch Ende der Siebziger… lassen wir das, es ist viel heller und freundlicher als früher, und geraucht wird auch nicht mehr bzw. nur in einem separaten Raucherraum, aber ansonsten… alles wie früher!
Es gibt immer noch lecker Kneipen-Pizza, also kein Steinofengedöns mit Ruccola zum Gastro-Review-Schreiben, sondern eine fettig-flauschig-ungesunde Grundlage für eine lange Nacht voll Bier, Wein und Rock’n Roll.
Der unerschrockene Gast probiere die „Scampi all ajillo“, zwei Handvoll mit einer unanständigen Menge Knoblauch und Olivenöl gebratene Großgarnelen, abgelöscht mit einer satten Portion eines Weinbrand-ähnlichen Getränks, das ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend, das ist ein Gericht so unverwechselbar wie ein Faustschlag von Vitali Klitschko: Raffinement Fehlanzeige, but it delivers!
Auch die Weinkarte gibt sich kompromisslos: hier werden – wie früher – keine Weine angeboten, sondern Rebsorten: Riesling, Chardonnay, Merlot… alles bodenständig, was Preis und Geschmack anbelangt.
Ja, was ist das Lavandevil nun für ein Lokal? Wirklich nur die Heimstatt von gastronomisch ewig Gestrigen, ein Treffpunkt alter Säcke, die sich nach dem klüngeligen Mauer-West-Berlin zurücksehnen?
Och nö. An Abenden wie heute, am 30. April 2010, wenn dort die Soko Haubach gitarrenlastigen R&B in Überlautstärke durchs Lokal pustet, wenn die Tresenmenschen aufopferungsvoll das frisch angestochene Maibock-Bier an die Gäste weiterreichen, wenn die Leute, die man seit zig Jahren kennt, mit jedem Glas ein paar Jahre jünger werden und wenn Steve Seitz „I hear you knocking“ knackiger als Dave Edmunds rausknarzt… dann ist das Lavandevil the place to be in tout Berlin.
Die Kneipen ändern sich nicht, und wir ändern uns nicht in ihnen. Dieser Satz war jetzt von mir. Falls wer von der Wikipedia fragt.

Lavandevil
Schustehrusstr. 3
10585 Berlin
0303429280

www.lavandevil.de

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3 Antworten zu Lavandevil, Berlin

  1. Jyrgenn sagt:

    Letztes Jahr war es ein Schock, als der Wirt des Lavandevils relativ plötzlich starb. Seit Mitte Februar hat das Lavandevil wieder offen, sein Bruder, der hier ja auch zu Reinhards Lebzeiten schon gekellnert und gezapft hat, hat es übernommen.

    Damit ist also tatsächlich die Änderung gering, und die Gestalten in der Küche sind auch immer noch dieselben. Dementsprechend sind Grillteller und Ofenschafskäse genauso (ungesund fetttriefend lecker) wie früher, und folgerichtig wollte mich, wegen des im letzteren reichlich enthaltenen Knoblauchs, mein Geliebtes Weib am nächsten Tag dann auch nicht so recht küssen.

    Also alles beim alten, und wir gehen wieder hin!

    • Jyrgenn sagt:

      Mitte 2015 schloß das Lavandevil endgültig.

      Ich hörte damals, dass Reinhards Bruder unter einer langen Krankheit leide; jedenfalls wurde das Lokal eine Weile von einer Ersatzmannschaft betrieben, dann fiel die Ersatzmannschaft aus und wurde durch eine einzige zwar tüchtige, aber doch oft überlastete Service- und Tresenkraft ersetzt, und vielleicht ist die dann auch noch zusammengebrochen. Dann hörte ich (wenn auch aus rückblickend nicht ganz sicherer Quelle), Reinhards Bruder sei ebenfallls verstorben.

      Ende Juni 2015 fand ich am Lavandevil einen Zettel an der Tür, das Lokal sei seit 13.6.2015 „aus gegebenem Anlass“ geschlossen.

      Im Februar 2016 eröffnete in den Räumen das persische Restaurant „Darband“. Wir trafen uns dort einmal in der Runde, mit der wir vorher über 25 Jahre lang fast jeden Monat am jeweils letzten Freitag das Lavandevil besucht hatten. Das Essen war ausgesprochen gut, aber das Lokal war nicht das, war wir für die Treffen der Runde suchten. Für seine persische Küche war es aber durchaus empfehlenswert.

      (In der genannten Runde konnten wir uns anschließend nicht wieder auf einen regelmäßigen Austragungsort einigen. So teilte sie dann das Schicksal des Lavandevil und fand bald nicht mehr statt.)

      • Danke für die Infos und deine Eindrücke. Tja, da gehen Sie hin, die ollen Kneipen aus West-Berliner Zeiten. Von den Läden, in denen ich mir damals die Nächte um die Ohren geschlagen habe, ist tatsächlich nur noch das Yorckschlösschen übrig.

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