„Oh mein Gott! Sie haben Fritto misto!“ Fritto misto! Wie lange ist das her, dass ich mein letztes Fritto misto gegessen habe? 10 Jahre? Mindestens. Vermutlich eher deutlich mehr, leider…
Fritto misto… das war das Gericht, mit dem ich seinerzeit begann, meinen kulinarischen Ruf aufzubauen. Damals saß man mit den Kumpels beim Um-die-Ecke-Italiener, um sich eine Grundlage für den Kreuzberger Trampelpfad zu verschaffen. Die Kumpels hatten alle schon ihre Pizza Salami mit extra Peperoni geordert, und dann kam ich: „Einmal Fritto misto, bitte. Und dazu hätte ich gern einen Frascati!“ Und dann noch – schelmisch drohend – ein „Aber schön trocken!“ hinzugesetzt. Mit offenem Munde starrten mich die Kumpels an, die mühsam helles Bier von dunklem unterscheiden konnten. Öha, der Chris scheint ja ein echter Lebemann zu sein. Kennt sich aus in der italienischen Küche, auahauaha!
Mittlerweile ist das Fritto misto – aus welchen Gründen auch immer – von den Speisekarten vieler Italiener verschwunden, aber hier, hier im Il Camino, hier pflegen Sie dieses archaische Gericht noch, und das für rekordverdächtige 7 Euro und ein paar Zerquetschte. Die geduldigste Gemahlin von allen ordert eine Pizza für weltrekordverdächtige 3,50 Euro (ja, man isst äußerst preiswert im „Il Camino“), jetzt noch ein lecker Weinchen… Wie bitte? Anonymen Chianti für 4,50 Euro das Glas, Pinot Grigio zum gleichen Preis? Humpf. „Ein Pils, ein Mineralwasser, bitte!“
Zeit sich zurückzulehnen, Zeit die Einrichtung des Il Camino zu würdigen. Wuchtige, dunkel gebeizte und vormals schrill gepolsterte Möbel aus dem gastronomischen Pleistozän, an den Wänden ein Seekrankheit hervorrufendes Mosaik aus Steinen und Muscheln, und an einer Wand hängt eine Art Kreuzung aus Schwertfisch und Pfau. Deko-Irrsinn oder bizarre Laune der Natur? Wer kann das ahnen?
Da kommt auch schon der Salat zum Fritto misto, und vom Salatteller grüßt noch ein alter Bekannter aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts: das Dressing! Also Salatsauce auf Basis von Mayo, Tomatenmark und Gurkenwasser, hab ich selber damals literweise als Aushilfskoch angerührt… hach, ja. Bevor irgendwer die Nase rümpft: Mit ‘ner gescheiten Mayo kann das wirklich ganz lecker sein. Im Il Camino ist es das, und bevor das Fritto misto auf dem Tisch stand, war das Salätchen auch schon weg.
Nun aber das Hauptgericht: ein Berg frittierter Calamari, drei homöpathisch zugeteilte Garnelen und eine beinahe heringsgroße Riesensardine. Ordentlich Zitrone und… Cocktailsauce! Nimmt denn die Zeitreise gar kein Ende? Kurz gekostet: Schade! Ohne Cognac gemacht wie hier (Wackerer Wirt, schützt die jungen Gäste, die aus Versehen Fritto misto ordern!), schmeckt sie etwas (Vorsicht! Wortwitz!) nüchtern. Aber das gebackene Meeresfrüchtezeugs ist saftig, die Sardine sogar köstlich und die ebenfalls stramm auf Retro gebügelte Pizza (Nix neumodisches Steinofengedöns) ist wirklich sehr lecker. Da gibt es nix zu meckern.
Wie generell am Il Camino nicht. Das ist ein prima Um-die-Ecke-Italiener, wo man sich wie früher eine solide Grundlage für einen ausgedehnten Abend verschaffen kann. Die Bedienung ist sehr freundlich, da würde man – sofern man kein Innenarchitekt ist – sogar noch ein wenig sitzen bleiben. Wenn diese idiotischen Weinpreise nicht wären.
Il Camino
Bundesallee 130
12161 Berlin
030 8521018